Karlsruhe (ots)
Die Bundesanwaltschaft hat am 8. Dezember 2020 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Mรผnchen Anklage gegen
den deutschen Staatsangehรถrigen Muharrem D.
wegen der Anschlagsserie in Waldkraiburg erhoben.
Der Angeschuldigte ist des versuchten Mordes zum Nachteil von 31 Menschen und der gefรคhrlichen Kรถrperverletzung zum Nachteil von 4 Menschen hinreichend verdรคchtig (ยง 211 Abs. 1, Abs. 2 Var. 4, 5 und 7, ยง 224 Abs. 1 Nrn. 1 und 3, ยง 223 Abs. 1 StGB). Des Weiteren ist er wegen Brandstiftungsdelikten, unter anderem wegen Brandstiftung, schwerer Brandstiftung und versuchter Brandstiftung mit Todesfolge (ยง 306 Abs. 1 Nr. 1, ยง 306a Abs. 2, ยง 306c, ยงยง 22, 23 StGB), sowie Vorbereitung einer schweren staatsgefรคhrdenden Gewalttat (ยง 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB) angeklagt. Vorgeworfen werden ihm auรerdem Verstรถรe gegen das Waffengesetz und das Sprengstoffgesetz sowie Sachbeschรคdigung.
In der nunmehr zugestellten Anklageschrift ist im Wesentlichen folgender Sachverhalt dargelegt:
Muharrem D. durchlief seit 2017 einen Prozess der religiรถsen Radikalisierung und wurde Anhรคnger eines islamistisch-jihadistischen Weltbildes sowie der terroristischen Vereinigung “Islamischer Staat”. Zudem entwickelte er im Zusammenhang mit dem Agieren des tรผrkischen Staates im Syrienkonflikt sowie dessen Umgang mit bestimmten Predigern in der Tรผrkei einen nachhaltigen Hass auf den tรผrkischen Staat und Menschen tรผrkischer Abstammung. Daher fasste er den Entschluss, Anschlรคge auf Mitbรผrgerinnen und Mitbรผrger tรผrkischer Herkunft zu verรผben und damit eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt herbeizufรผhren.
1. Zu diesem Zweck kaufte sich der Angeschuldigte eine halbautomatische Pistole nebst 10 Patronen. Zudem eignete sich der Angeschuldigte รผber das Internet das Wissen รผber die Herstellung und Handhabung von Sprengstoffen, Spreng- sowie Brandvorrichtungen an und verschaffte sich ab Sommer 2017 die zu deren Herstellung notwendigen Materialien. Insgesamt bezog er – vorwiegend รผber den Versandhandel – rund 100 Kilogramm Chemikalien. Weitere Chemikalien – rund 40 Kilogramm – entwendete er zwischen Oktober 2016 und August 2018 bei seinem Arbeitgeber. In Baumรคrkten kaufte er Eisenwaren, die er fรผr die Hรผllen sowie die Splitterladungen von Rohrbomben verwenden wollte.
Aus den vorgenannten Materialien stellte der Angeschuldigte im August 2017 unter anderem 23 nahezu gebrauchsfertige Rohrbomben sowie รผber 45 Kilogramm Sprengstoff her, die er anschlieรend in einem seiner Kraftfahrzeuge deponierte und dort belieร. Nach dem Scheitern seiner im Jahr 2018 nach islamischen Ritus geschlossenen Ehe bemรผhte er sich zunรคchst intensiv รผber Moscheen in Mรผnchen um eine Kontaktaufnahme zu Mitgliedern des “Islamischen Staates”. Hintergrund war sein Wunsch, nach Syrien auszureisen und sich dort dieser terroristischen Vereinigung anzuschlieรen. Bedingt durch die Erfolglosigkeit seines Ansinnens trieb er die Vorbereitungen fรผr seine Anschlagsplรคne in Deutschland weiter voran. Er fasste den Entschluss, im Zeitraum vom 15. bis 17. Mai 2020 Anschlรคge auf mehrere Moscheen des Dachverbandes DITIB im nรคheren Umkreis von Waldkraiburg zu begehen. Anschlieรend wollte er das tรผrkische Generalkonsulat in Mรผnchen sowie mit einer Bombe die DITIB-Zentralmoschee in Kรถln angreifen. Bei den Anschlรคgen auf die Moscheen wollte er die jeweiligen Imame erschieรen.
2. In der Schlussphase seiner Vorbereitungshandlungen kamen ihm hinsichtlich des Einsatzes der Rohrbomben, fรผr die ihm die erforderlichen Zรผnder noch fehlten, Bedenken. Aus diesem Grund sah er zunรคchst von deren Einsatz ab und entschied sich fรผr einen Brandanschlag auf die Sultan-Ahmet-Moschee in Waldkraiburg. Zu diesem Zweck versuchte er am 2. April 2020 gegen 5:00 Uhr, sich gewaltsam Zutritt zu dem dortigen Gebetsraum zu verschaffen und anschlieรend einen vorbereiteten Brandsatz zu entzรผnden. Allerdings konnte er die Eingangstรผre nicht รถffnen und sah deshalb seinen ursprรผnglichen Tatplan als gescheitert an.
3. Wenige Augenblicke spรคter disponierte er um und wollte nunmehr das benachbarte Wohnhaus in Brand setzen. Dort hielten sich zum damaligen Tatzeitpunkt ein Ehepaar und deren drei Kinder zwischen vier und neun Jahren auf, deren Tod er billigend in Kauf nahm. Muharrem D. legte den vorbereiten Brandsatz in eine nahe dem Hauseingang abgestellte Altpapiertonne, entzรผndete ihn und entfernte sich. Mangels Sauerstoffzufuhr erloschen die Flammen kurze Zeit spรคter im Innern der Tonne ohne weiteren Schaden anzurichten.
4. In der Nacht vom 16. auf den 17. April 2020 warf der Angeschuldigte die Fensterscheibe eines von einer deutschen Staatsangehรถrigen tรผrkischer Abstammung betriebenen Friseursalons ein. Anschlieรend schรผttete er eine รผbel riechende Flรผssigkeit auf Buttersรคurebasis in die Rรคumlichkeiten.
5. Zwei Nรคchte spรคter verรผbte er in gleicher Art und Weise einen Anschlag auf eine Pizzeria, die durch einen tรผrkischstรคmmigen Mitbรผrger gefรผhrt wurde.
6. Da er die beiden vorgenannten Sachbeschรคdigungen als unbefriedigend und unzureichend ansah, entschloss er sich zu einem erneuten Brandanschlag. Vor diesem Hintergrund stellte er eine unter anderem aus Grillanzรผndern, Spiritus und zwei Gaskartuschen bestehende Brandvorrichtung her. Am 27. April 2020 gegen 2:54 Uhr verschaffte er sich Zutritt zu einem Obst- und Gemรผseladen in Waldkraiburg, indem er mit einem Pflasterstein eine Fensterscheibe einschlug. Im Inneren entzรผndete der Angeschuldigte die Brandvorrichtung und nahm dabei den Tod der insgesamt 26 im Gebรคude anwesenden Menschen billigend in Kauf. Kurze Zeit spรคter detonierten die Gaskartuschen und der Verkaufsraum geriet in Vollbrand. Nur dadurch, dass mehrere Bewohner den Brand bemerkten und die รผbrigen Bewohner warnen konnten, kam es zu keinen Todesopfern. Gleichwohl erlitten vier Personen bei ihrer Flucht jeweils eine Rauchgasvergiftung.
7. Schlieรlich zerstรถrte der Angeschuldigte am 6. Mai 2020 gegen 2:45 Uhr durch den Wurf zweier Steine die Fensterscheibe einer tรผrkischen Gaststรคtte. Anschlieรend goss er wiederum eine รผbel riechende Flรผssigkeit auf Buttersรคurebasis hinein.
Bei seiner Festnahme am 8. Mai 2020 fรผhrte er in seinem Gepรคck zehn Rohrbomben und 23 Kilogramm Blitz-Knall-Satz mit sich. Bei der anschlieรenden Durchsuchung seiner Wohnrรคume und seines Fahrzeugs wurden weitere 13 Rohrbomben und mehrere Kilogramm sprengfรคhiges Material sichergestellt.
Die Bundesanwaltschaft hat am 19. Mai 2020 die zuvor von der Generalstaatsanwaltschaft Mรผnchen gefรผhrten Ermittlungen รผbernommen. Diese hatte bereits am 9. Mai 2020 beim Amtsgericht Mรผnchen einen Haftbefehl gegen den Angeschuldigten erwirkt (vgl. Pressemitteilung Nr. 17 vom 20. Mai 2020). Dieser wurde durch den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 25. Juni 2020 ersetzt.
