Grรผne Kanzlerkandidatin windet sich unter dem Druck der Moderatorin
Sonntag Abend, ARD, direkt nach dem Tatort. Deutschland sitzt auf der Couch und โgรถnnt sichโ eine Dosis Politik. Unter anderem zu Gast: Die frisch gekรผrte Kanzlerkandidatin der Grรผnen, Annalena Baerbock. Eigentlich sollte es um die Bundesnotbremse gehen aber Anne will lรคsst es sich nicht entgehen, Frau Baerbock in einem 20-minรผtigen 4-Augen Gesprรคch zunรคchst zum Thema ihrer Kanzlerkandidatur โin die Mangel zu nehmenโ.
Mit der ersten Frage geht Will voll ins Thema: Ist sie es nur geworden, weil sie eine Frau ist? Deswegen โstehe sie jetzt doch ganz blรถd im Raumโ.
Damit konnte man eigentlich rechnen. Baerbock versucht es mit Lockerheit: โNa. Mein Geschlecht werde ich nicht รคndernโ und setzt mit dem schon bekannten Argument, daร Emanzipation bei der Nominierung eine Rolle gespielt habe, fort. Anne Will greift das direkt auf: โAlso sagen Sie, dass Sie es nur geworden sind, weil Sie eine Frau sindโ. Und Baerbock verneint trotzig, dass Sie es dann ja gesagt hรคtte. Trotz dieser harten Fragestellung bei der Will Ihr Gegenรผber immer wieder unterbricht bleibt der Ton zwischen den beiden Frauen รผberwiegend freundlich, ja teilweise sogar charmant. Dennoch wirkt das 20-minรผtige Gesprรคch oft aber auch irgendwie unangenehm und als Zuschauer mag man sich auf der Couch hin und her winden, wie bei einem spannenden Thriller oder einem Fremdschรคm-Moment in einer Reality-Show. Die Moderatorin setzt fast schon รผbertrieben auf journalistische Hรคrte und die Kanzlerkandidatin flรผchtet sich so manchmal in Floskeln. Oder sie antwortet an der eigentlichen Frage vorbei mit Themen, bei denen Sie zweifelsfrei รผber Kompetenz verfรผgt und am Ende wirkt es dann sogar etwas wie ein Schaulaufen.
Sie habe sich vor der Nominierung persรถnlich geprรผft und gefragt, was denn eine Kanzlerin benรถtige. Aus ihrer Sicht seien das Durchsetzungsfรคhigkeit, Entschlossenheit und am Ende auch Empathie und Menschlichkeit. Das hat man so auch schon von anderen Kandidaten gehรถrt, aber in einem Punkt will sie sich bewusst von ihren Kontrahenten Scholz und Laschet abgrenzen. Sie wรผrde, anders als die beiden nicht โklipp und klarโ sagen, sie werde Kanzlerin und begrรผndet das mit einer gewissen Demut und Respekt gegenรผber dem Wรคhler. Auรerdem verfรผge sie รผber einen klaren Kompass, wie Deutschland erneuert werden kann. Das kommt bekanntlich beim Wรคhler an und hat ihr und ihrer Partei in letzter Zeit die hohen Umfragewerte beschert.
Fehlende Regierungserfahrung rรคumte sie ein. Darauf hatte zuletzt auch Parteikollege Robert Habeck, ehemaliger Minister in Schleswig-Holstein in einem Zeitungsinterview zwischen den Zeilen hingewiesen und damit fรผr so manchen Beobachter erste Kratzer an der bisher so harmonischen Gemeinsamkeit der beiden verursacht. Doch Baerbock lรคchelt das weg und interpretiert es als โsinnvollโ, wenn es unterschiedliche Aspekte in einem Team gibt. Alles in allem hat sie die 20 Minuten im Schwitzkasten von Anne Will ganz passabel รผberstanden, in der anschlieรenden Diskussionsrunde zum Thema der Bundesnotbremse zeigte sie sich zu den Themen Rรผckgabe von Freiheitsrechten oder Klimaschutz dann auch souverรคn, konkret und ohne Lรคcheln. Da meinte man, die Erfahrung aus jahrelanger Oppositionspolitik zu erkennen. Bleibt natรผrlich abzuwarten, wie das aussehen kรถnnte, wenn da die Fronten gewechselt werden und Frau Baerbock tatsรคchlich ins Kanzleramt wechselt.
