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Ausweisung eines wegen Totschlags verurteilten afghanischen Staatsangehörigen

Deutschland

Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße hat mit Urteil vom 11. November 2021 die Rechtmäßigkeit einer von der Stadt Speyer verfügten Ausweisung eines afghanischen Staatsangehörigen bestätigt.

Der 1993 geborene Kläger reiste im Jahr 2014 zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern in das Bundesgebiet ein. Zuvor war die Familie eigenen Angaben zufolge von bewaffneten Taliban bedroht worden, da der Vater des Klägers jahrelang als Dolmetscher für die deutschen Soldaten der ISAF gearbeitet hatte. Da die Familie um ihr Leben fürchtete, bemühte sie sich um eine Ausreise nach Deutschland. Mit Hilfe der deutschen Botschaft erhielt sie daraufhin auf der Grundlage einer Aufnahmezusage Einreisevisa und danach Aufenthaltserlaubnisse.

Im Juni 2016 wurde der Kläger festgenommen und kam zunächst in Untersuchungshaft, die später in Strafhaft überführt wurde. Diese dauert derzeit noch an.

Der Inhaftierung des Klägers liegt zugrunde, dass er am 22. Juni 2016 in Otterstadt einen afghanischen Landsmann getötet hat. Deshalb verurteilte ihn das Landgericht Frankenthal zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren und 6 Monaten wegen Totschlags. Bei dem Opfer handelte es sich um einen verheirateten, aber von seiner Ehefrau getrenntlebenden Mann, der mit der Schwester des Klägers eine Beziehung unterhielt. Hinsichtlich der Tatmotive stellte das Landgericht fest, dass der Kläger aufgrund seiner konservativen muslimischen Wertvorstellungen über das Verhältnis von Mann und Frau die Beziehung seiner jüngeren Schwester zu einem verheirateten Mann für einen unhaltbaren und alsbald abzustellenden Zustand erachtet habe. Hinzu gekommen sei noch, dass der Kläger auch persönlich verärgert und gekränkt gewesen sei, weil ihm das Opfer, das ein Bekannter von ihm gewesen sei, das Bestehen der Liebesbeziehung arglistig verschwiegen habe.

Wegen dieser Straftat hat die Stadt Speyer den Kläger ausgewiesen. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg, weshalb der Betroffene Klage zum Verwaltungsgericht Neustadt erhoben hat.

Das Gericht hat die Klage abgewiesen: Die Ausweisung des Klägers sei rechtmäßig. Wegen der begangenen Straftat und der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren und 6 Monaten liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes vor. Es sei zu befürchten, dass von dem Kläger auch zukünftig eine erhebliche Gefahr ausgehe. Er habe sein Opfer durch zwei Messerstiche in den Hals getötet, weil er dessen Beziehung zu seiner Schwester nicht gebilligt habe und das Opfer hierfür habe abstrafen wollen. Dabei habe er sowohl aus Enttäuschung und verletztem Stolz, aber auch zur Verteidigung der Familienehre und zur Unterbindung der Beziehung gehandelt. Hierbei habe er der Verwirklichung seines eigenen Ehrbegriffs und seiner Moral- und Männlichkeitsvorstellungen den Vorrang vor dem Lebensrecht seines Opfers und dem Selbstbestimmungsrecht seiner Schwester eingeräumt. Eine derartige Tat könne sich auch erneut ereignen, solange nicht eine tiefgreifende und grundlegende Abkehr des Klägers von den tradierten patriarchalischen Moral- und Wertvorstellungen erwiesen sei. Einen solchen dauerhaften Einstellungswandel habe der Kläger aber bisher nicht vollzogen. Vielmehr sei von langjährig verfestigten Moralvorstellungen des Klägers über den Schutz der Familienehre und einem fortbestehenden Dominanzverhalten gegenüber Frauen auszugehen.

Die Ausweisung dürfe zudem auf generalpräventive Gründe gestützt werden. In Fällen wie dem hier vorliegenden sei es gerechtfertigt, durch eine kontinuierliche Ausweisungspraxis den Geltungsrang des deutschen Rechts durchzusetzen und es ausländischen Schutzsuchenden, die im Bundesgebiet Aufnahme gefunden haben, klar zu machen, dass Selbstjustiz und Ehrenmorde in Deutschland nicht geduldet werden und derartige Verhaltensweisen aufenthaltsbeendende Maßnahmen zur Folge haben.

Anmerkung: Die Abschiebungsandrohung (Vollziehung der Ausweisung) wurde auf Anregung der Kammer in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die derzeitige Lage in Afghanistan aufgehoben. Diese Frage wird die Stadt Speyer zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu prüfen haben.

Gegen das Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung Antrag auf Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz gestellt werden.

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