Der Bundesgerichtshof zu “Mogelpackungen”
Der unter anderem fรผr das Wettbewerbsrecht zustรคndige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Verpackung eines Produkts in der Regel nicht in einem angemessenen Verhรคltnis zu der darin enthaltenen Fรผllmenge steht (“Mogelpackung”) wenn sie nur zu etwa zwei Dritteln gefรผllt ist.
Sachverhalt:
Die Klรคgerin ist ein Verbraucherschutzverband.
Die Beklagte vertreibt Kosmetik- und Kรถrperpflegeprodukte.
Die Beklagte bewarb auf ihrer Internetseite ein Herrenwaschgel in einer aus Kunststoff bestehenden Tube mit einer Fรผllmenge von 100 ml. In der Online-Werbung ist die Tube auf dem Verschlussdeckel stehend abgebildet. Sie ist im unteren Bereich des Verschlussdeckels transparent und gibt den Blick auf den orangefarbigen Inhalt frei. Der darรผber befindliche, sich zum Falz der Tube stark verjรผngende Bereich ist nicht durchsichtig, sondern silbern eingefรคrbt. Die Tube ist nur im durchsichtigen Bereich bis zum Beginn des oberen, nicht durchsichtigen Bereichs mit Waschgel befรผllt.
Die Klรคgerin hรคlt diese Werbung fรผr unlauter, weil sie eine tatsรคchlich nicht gegebene nahezu vollstรคndige Befรผllung der Tube mit Waschgel suggeriere, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klรคgerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass die Verpackung zwar dann entgegen ยง 3a UWG in Verbindung mit ยง 43 Abs. 2 MessEG ihrer Gestaltung und Befรผllung nach eine grรถรere Fรผllmenge als vorhanden vortรคusche, wenn der Verbraucher sie im Rahmen des Erwerbs im Laden in Originalgrรถรe wahrnehme.
Im Falle des hier vorliegenden Online-Vertriebs fehle es jedoch an der Spรผrbarkeit eines Verstoรes
gegen ยง 43 Abs. 2 MessEG, weil dem Verbraucher die konkrete Grรถรe der Produktverpackung im Zeitpunkt der Beschรคftigung mit dem Angebot und dem Erwerb des Produkts verborgen bleibe. Auch eine Irrefรผhrung nach ยง 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG unter dem Gesichtspunkt der Tรคuschung รผber den Hohlraum in der Verpackung liege nicht vor.
Mit ihrer vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revision verfolgt die Klรคgerin ihren Unterlassungsanspruch weiter.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Die Revision hat Erfolg. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemรคร ยง 8 Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 3 Nr. 3, ยง 3 Abs. 1, ยง 3a UWG in Verbindung mit ยง 43 Abs. 2 MessEG kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begrรผndung nicht verneint werden.
Insbesondere tรคuscht die beanstandete Produktgestaltung entgegen ยง 43 Abs. 2 MessEG ihrer Gestaltung und Befรผllung nach eine grรถรere Fรผllmenge vor, als in ihr enthalten ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch eine spรผrbare Interessenbeeintrรคchtigung vor. Der fรผr diese Frage entscheidende Schutzzweck des ยง 43 Abs. 2 MessEG besteht darin, den Verkehr vor Fehlannahmen รผber die relative Fรผllmenge einer Fertigpackung (“Mogelpackung”) zu schรผtzen. Dieser Schutzzweck ist unabhรคngig vom Vertriebsweg stets betroffen, wenn – wie im Streitfall – eine Fertigpackung ihrer Gestaltung und Befรผllung nach in relevanter Weise รผber ihre relative Fรผllmenge tรคuscht.
Der Bundesgerichtshof hat in der Sache selbst entschieden und die Beklagte zur Unterlassung gemรคร ยง 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 3, ยง 3 Abs. 1 und 2, ยง 5 Abs.
1 und 2 Nr. 1 UWG verurteilt.
Der Senat konnte dahinstehen lassen, ob die รผbrigen Voraussetzungen des ยง 43 Abs. 2 MessEG erfรผllt sind, insbesondere, ob die Werbung fรผr ein Produkt oder das bloรe Angebot unter den Begriff der Bereitstellung auf dem Markt im Sinne des ยง 2 Nr. 1 MessEG fรคllt. Denn soweit – wie hier – Handlungen von Unternehmen gegenรผber Verbrauchern betroffen sind, kommt die Vorschrift des ยง 43 Abs. 2 MessEG aufgrund der vollharmonisierenden Wirkung von Art. 3 und 4 der Richtlinie 2005/29/EG รผber unlautere Geschรคftspraktiken nicht zur Anwendung, und die Beurteilung der Irrefรผhrung รผber die relative Fรผllmenge einer Fertigpackung hat alleine nach ยง 5 UWG zu erfolgen.
Die beanstandete Internetwerbung fรผr das Waschgel verstรถรt gegen ยง 5 Abs. 1 und
2 Nr. 1 UWG.
Eine wettbewerblich relevante Irrefรผhrung รผber die relative Fรผllmenge einer Fertigpackung liegt unabhรคngig von dem konkret beanstandeten Werbemedium grundsรคtzlich vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhรคltnis zu der darin enthaltenen Fรผllmenge steht. Dies ist hier der Fall, da die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefรผllt ist und weder die Aufmachung der Verpackung das Vortรคuschen einer grรถรeren Fรผllmenge zuverlรคssig verhindert noch die gegebene Fรผllmenge auf technischen Erfordernissen beruht.
