Drei Instanzen gegen Facebook “verloren”
Ansprüche gegen Facebook, der unter dem Vorwurf der "Hassrede" Beiträge gelöscht und Konten gesperrt hat
Ansprüche gegen den Betreiber eines sozialen Netzwerks, der unter dem Vorwurf der “Hassrede” Beiträge gelöscht und Konten gesperrt hat
Der für Rechtsstreitigkeiten über Dienstverhältnisse zuständige Zivilsenat wird darüber zu entscheiden haben, ob die Nutzer eines sozialen Netzwerks Ansprüche gegen dessen Betreiber haben, weil dieser unter dem Vorwurf von “Hassrede” ihre Beiträge gelöscht und vorübergehend ihre Konten gesperrt hat.
Sachverhalt:
In zwei beim III. Zivilsenat anhängigen Revisionssachen streiten die Parteien über die Rechtmäßigkeit einer vorübergehenden Teilsperrung der Facebook-Benutzerkonten der Kläger und der Löschung ihrer Kommentare durch die Beklagte.
Die Kläger unterhalten jeweils ein Nutzerkonto für ein von der Muttergesellschaft der Beklagten betriebenes weltweites soziales Netzwerk, dessen Anbieter und Vertragspartner für Nutzer mit Sitz in Deutschland die Beklagte ist. Sie nehmen die Beklagte – soweit für die Revisionsverfahren noch von Bedeutung – auf Freischaltung der von ihnen in dem Netzwerk veröffentlichten und von der Beklagten gelöschten Beiträge, auf Unterlassung einer erneuten Sperre ihrer Nutzerkonten und Löschung ihrer Beiträge sowie – in einem der beiden Revisionsverfahren – auf Auskunft über ein mit der Durchführung der Kontosperre beauftragtes Unternehmen in Anspruch.
Nach den Nutzungsbedingungen des Netzwerks in der seit dem 19. April 2018 geltenden Fassung darf nicht gegen die “Gemeinschaftsstandards” verstoßen werden. Diese verbieten eine – dort näher definierte – “Hassrede”.
In dem Verfahren III ZR 179/20 postete die Klägerin folgenden Beitrag:
“Schon der Wahnsinn, kann mich nicht an ein Attentat erinnern, das sog. Reichsbürger verübt haben. Im Gegensatz dazu dann die Morde von islamischen Einwanderern, die man zwar beobachtet hat, aber nichts dazu machen konnte. Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eben eine andere Ansicht von ihrem Heimatland haben als das Regime. Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert’s! Da würde ich mir mal ein Durchgreifen des Verfassungsschutzes wünschen.”
In dem Verfahren III ZR 192/20 kommentierte der Kläger am 10. August 2018 den Beitrag eines Dritten, der ein Video beinhaltet, in dem eine Person mit Migrationshintergrund es ablehnt, von einer Polizistin kontrolliert zu werden, wie folgt:
“Was suchen diese Leute hier in unserem Rechtsstaat … kein Respekt … keine Achtung unser Gesetze … keine Achtung gegenüber Frauen … DIE WERDEN SICH HIER NIE INTEGRIEREN UND WERDEN AUF EWIG DEM STEUERZAHLER AUF DER TASCHE LIEGEN … DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES MORDEN … KLAUEN … RANDALIEREN … UND GANZ WICHTIG … NIE ARBEITEN.”
Die Beklagte löschte diese Äußerungen im August 2018, da sie gegen das Verbot der “Hassrede” verstießen. Sie sperrte die Nutzerkonten – in der Sache III ZR 179/20 für 30 Tage, in der Sache III ZR 192/20 für drei Tage -, so dass die Kläger in dieser Zeit nichts posten, nichts kommentieren und auch die Messenger-Funktion nicht nutzen konnten.
Mit ihren Klagen machen die Kläger geltend, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, ihre Beiträge zu löschen und ihre Nutzerkonten zu sperren. Die zum 19. April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards seien schon nicht Bestandteil des Nutzungsvertrages zwischen den Parteien geworden. Sie rechtfertigten aber auch nicht die Maßnahmen der Beklagten. Die ihr dort eingeräumte Befugnis zur Entfernung von Beiträgen und Sperre von Nutzerkonten sei gemäß § 307 Abs.1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unwirksam, weil sie die Nutzer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Dies gelte insbesondere, wenn man den grundlegenden Wert der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) berücksichtige. Darüber hinaus folge die Unwirksamkeit der Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards aus einem Verstoß gegen das Transparenz-, Verständlichkeits- und Bestimmtheitsgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Selbst bei unterstellter Anwendbarkeit der seit dem 19. April 2018 geltenden Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards könne die Beklagte ihre gegen die Kläger getroffenen Maßnahmen nicht rechtfertigen. Ihre Kommentare unterfielen dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit und seien weder als “Hassrede” noch sonst als rechtswidrig oder strafbar anzusehen. Durch die Löschung der Beiträge und Sperre der Nutzerkonten habe die Beklagte nicht nur ihre Pflichten aus den Nutzungsverträgen verletzt, sondern darüber hinaus auch rechtswidrig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger als Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB eingegriffen.
Bisheriger Prozessverlauf:
Im Verfahren III ZR 179/20 hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Im Verfahren III ZR 192/20 hat das Landgericht die Beklagte dazu verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger für das Einstellen des Textes:
“Was suchen diese Leute in unserem Rechtsstaat – kein Respekt – keine Achtung unserer Gesetze – keine Achtung gegenüber Frauen. Die werden sich hier nie integrieren und werden auf ewig dem Steuerzahler auf der Tasche liegen.”
erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn sich der Beitrag auf Personen bezieht, die sich der Anweisung einer Polizistin mit dem Argument widersetzen, dass sie sich von einer Frau nichts sagen ließen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Das Oberlandesgericht hat in beiden Berufungsurteilen – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – ausgeführt, die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards in der seit dem 19. April 2018 geltenden Fassung seien aufgrund der Zustimmung der Kläger durch Anklicken der entsprechenden Schaltfläche wirksam geworden. Die Gemeinschaftsstandards, insbesondere die Regelungen zum Verbot der “Hassrede”, hielten auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB stand. Die Kommentare der Kläger erfüllten die Merkmale einer “Hassrede”. Da ihre Äußerungen gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen hätten, habe die Beklagte Funktionen der Nutzerkonten der Kläger zeitweise sperren und die Äußerungen entfernen dürfen. Den Klägern stehe kein Anspruch auf Auskunft darüber zu, ob und gegebenenfalls wen die Beklagte mit Aufgaben im Zusammenhang mit der Sperre betraut habe.
Mit den vom Oberlandesgericht – beschränkt – zugelassenen Revisionen verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Freischaltung der gelöschten Beiträge, auf Unterlassung einer erneuten Kontosperre und Löschung der Beiträge sowie – im Verfahren III ZR 192/20 – auf Auskunft über ein mit der Durchführung der Kontosperre beauftragtes Unternehmen weiter.
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.
§ 307 Abs. 1 BGB
Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
§ 823 Abs. 1 BGB
Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
Vorinstanzen:
Verfahren III ZR 179/20:
LG Nürnberg-Fürth – Urteil vom 14. Oktober 2019 – 11 O 7080/18
OLG Nürnberg – Urteil vom 4. August 2020 – 3 U 4039/19
und
Verfahren III ZR 192/20:
LG Regensburg – Urteil vom 27. August 2019 – 72 O 1943/18 KOIN
OLG Nürnberg – Urteil vom 4. August 2020 – 3 U 3641/19