Corona
Dazu erklรคrt Mahi Klosterhalfen, Prรคsident der Albert Schweitzer Stiftung: “Die aktuelle Covid-19-Situation ist ein weiteres Mahnmal dafรผr, unseren Umgang mit Tieren zu verรคndern. Es wird immer klarer, dass die intensive Nutzung von Tieren die Gefahren fรผr die Entstehung von Pandemien erhรถht. Zudem bedroht sie nach wie vor die Wirksamkeit von Antibiotika, was in Zukunft zu weiteren ernsthaften Gesundheitskrisen fรผhren kann.”
Lebensmittelwissenschaftler und Geophysiker Dr. Kurt Schmidinger, wissenschaftlicher Beirat der Albert Schweitzer Stiftung, hat sich ausfรผhrlich mit der Thematik befasst. Sie finden seinen wissenschaftlich fundierten Artikel unten oder auf unserer Website: https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/tierproduktkonsum-pandemien
Schmidinger beruft sich darin auf Quellen wie die FAO (Ernรคhrungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen), die OIE (Weltorganisation fรผr Tiergesundheit), die WHO (Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen) und andere renommierte Institutionen.
“Wir wissen es seit Jahrzehnten, dass uns aus der weltweiten Fleischproduktion in Massentierhaltung und auf Wildtiermรคrkten neue Seuchen blรผhen kรถnnen”, kommentiert Schmidinger. “Wichtig ist jetzt, dass wir die Ursache bekรคmpfen. Kleine Kinder greifen nicht zwei Mal auf die heiรe Herdplatte, und auch wir dรผrfen nicht lernresistent sein.” Auch beim รคhnlich gelagerten Thema Antibiotikaresistenzen reagierten Gesellschaft und Politik seit Jahren nicht auf die Warnungen aus der Wissenschaft, so Schmidinger weiter. Hier drohe ein weiteres Fiasko fรผr unser Gesundheitssystem durch die routinemรครige Verfรผtterung von 70 bis 80 Prozent der Antibiotika weltweit in der Massentierhaltung.
Als Lรถsungsansatz nennt Schmidinger vor allem die pflanzenbasierte Ernรคhrung: Fรผr saftige Burger und knusprige Nuggets mรผsse heute kein Tier mehr gehalten und getรถtet werden. “Seit kurzem haben wir weltweit absolute Top-Produkte auf pflanzlicher Basis. In wenigen Jahren werden wir zudem sicheres Fleisch aus gezรผchteten Tierzellen am Markt haben – ohne Massentierhaltung, ohne Tiertransporte, ohne Schlachthรถfe und ohne Wildtiermรคrkte.”
Wie Tierproduktkonsum zu Pandemien beitrรคgt
von Dr. Kurt Schmidinger, wissenschaftlicher Beirat der Albert Schweitzer Stiftung fรผr unsere Mitwelt
Nimmt man die gรคngigen Annahmen zur Entstehung der Pandemien der letzten Jahrzehnte als Basis, ebenso jene der aktuellen COVID-19-Pandemie, und die wissenschaftlichen Prognosen fรผr zukรผnftige Pandemien, dann ist eine Parallele nicht zu รผbersehen: Fast alle wurden und werden durch den Verzehr von Tierprodukten oder die Haltung von Tieren fรผr den Verzehr ausgelรถst.
Auch die aktuelle COVID-19-Pandemie kam mit Ansage – in der Wissenschaft herrscht seit Jahrzehnten groรe Einigkeit, dass wir durch die industrielle Nutztierhaltung oder auch durch Wildtiermรคrkte solche Risiken provozieren.
Parallel dazu laufen wir sehenden Auges in ein zweites wahrscheinliches Fiasko fรผr unser Gesundheitssystem: Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnte 2017 eindringlich vor dem Einsatz von Antibiotika in der industriellen Nutztierhaltung und der Gefahr der Bildung von Keimen, die gegen alle Antibiotika resistent sind [1]. Schรคtzungen gehen davon aus, dass weltweit 70 bis 80 Prozent der Antibiotika in der Nutztierhaltung eingesetzt werden [19], der kleinere Rest in der Humanmedizin. Zudem wird in der Nutztierhaltung zwischen 2010 und 2030 ein weiterer globaler Anstieg des Verbrauchs von Antibiotika von 70 Prozent erwartet [18]. In vielen Regionen der Welt werden Antibiotika als Wachstumsfรถrderer eingesetzt. Die Exposition von Bakterien zu dieser permanenten Gabe von geringen Mengen an Antibiotika begรผnstigt Anpassungen und Resistenzen der Bakterien.
Drei Viertel der neuen Krankheitserreger รผber Tiere
Vor fast 20 Jahren ergab eine umfassende Literaturanalyse bereits folgendes Ergebnis: Drei Viertel der neu auftauchenden Krankheitserreger, die den Menschen bedrohen, stammen aus “zoonotischen Quellen”, sprich sie werden von Tieren auf Menschen รผbertragen [2]. 2009 bestรคtigten die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO und die Weltorganisation fรผr Tiergesundheit OIE diese Zahl mit 70 Prozent [6,7], aktuell gibt die FAO auf ihren Webseiten 75 Prozent an [21].
Neuere Analysen zeigen: Sogenannte RNA Viren aus dem Tierreich machen den grรถรten Teil der neu entstehenden Krankheitserreger fรผr Menschen aus [3,4]. Immer neue Wellen von Vogelgrippe [14], sowie Schweinegrippe, Nipah-Virus [15], Ebola, HIV [16] usw. haben zoonotischen Ursprung.
Die zentrale Rolle der (industriellen) Nutztierhaltung
Die FAO hat 2008 eindringlich darauf hingewiesen, dass die Industrialisierung der Nutztierhaltung, speziell in warmen, feuchten Klimazonen, die sich durch den Klimawandel ausweiten, eine groรe Gefahr fรผr neue Krankheitserreger darstellt. In Kombination mit vermehrten Transporten von Tieren und Tierprodukten, und einer vermehrten Mobilitรคt des Menschen stellt dies eine groรe Gefahr fรผr neue Pandemien dar [5].
Die industrielle Nutztierhaltung ist besonders gefรคhrlich in Bezug auf die Entstehung von Influenza-Viren und anderen Krankheitserregern. Einerseits fรผhrt die Spezialisierung zu neuen รbertragungswegen, beispielsweise in der Schweinehaltung durch die Trennung in Zucht- und Mastbetriebe [8]. Andererseits sind die hohen Besatzdichten von Geflรผgel oder Schweinen Faktoren, die Viren bei ihrer Entstehung fรถrdern [8,9]. Milliarden eingesperrte Tiere produzieren gigantische Mengen an Exkrementen, die groรe Mengen Pathogene enthalten kรถnnen, und die auf Ackerflรคchen oder ins Grundwasser entsorgt werden. Das ist eine weitere Infektionsquelle, auch fรผr wildlebende Tiere [10].
Trotz Gerede von “biosecurity” [11] sind industrielle Tierhaltungen in der Realitรคt komplett offen fรผr den Ein- und Ausgang von Krankheitserregern. Einerseits kommen Tiere aus anderen Zuchtbetrieben, Brรผtereien oder Nutztiermรคrkten, sowie Futter und Wasser von auรen in die Betriebe. Andererseits verlassen sowohl enorme Mengen Exkremente diese Anlagen, als auch Tiere in Richtung andere Betriebe, Mรคrkte oder Schlachthรคuser. Insekten sind weitere รbertrรคger. All das sind Routen fรผr Krankheitserreger zu oder von industriellen Nutztierhaltungen [12].
Daten der OIE zeigten fรผr Ende 2005 bis Anfang 2007, dass die Wahrscheinlichkeit fรผr HPAI H5N1-Ausbrรผche in Geflรผgelbetrieben mit รผber 10.000 Tieren etwa vierfach hรถher war als in kleineren Betrieben, und dass die รbertragungswege der industriellen Tierhaltungsbetriebe komplett offen sind [13].
Bei all den vielfรคltigen รbertragungswegen wird auch klar: Wegsperren der Tiere hilft nichts. Im Gegenteil: Die hohen Besatzdichten der Tiere, der konzentrierte Anfall von Exkrementen und der in der Regel hohe Antibiotikaeinsatz machen Intensivtierhaltungen mit weggesperrten Tieren sogar besonders problematisch.
Jagd und Wildtiermรคrkte
Dass der neuartige Corona-Virus SARS-CoV-2 und damit die aktuelle COVID-19-Pandemie von einem Wildtiermarkt (einem sogenannten “wet market”) im chinesischen Wuhan stammt, gilt derzeit als fast gesichert [20]. Wiederum ist die Haltung von Tieren und der Konsum von Tierprodukten die wahrscheinlichste Ursache einer Pandemie, die die Weltbevรถlkerung gesundheitlich und wirtschaftlich enorm belastet. Im Zusammenhang mit Wildtieren wurden auch die Jagd und die Entwaldung in Studien untersucht und als Ursache fรผr speziesรผbergreifende รbertragung von Krankheitserregern identifiziert [17].
Keine Vorhersage mรถglich, wie neue Erreger aussehen
Trotz der gravierenden Auswirkungen auf die globale Gesundheit und Wirtschaft und dem zunehmenden Verstรคndnis รผber die Prozesse bei der Entstehung neuer Krankheitserreger sind wir nicht in der Lage, deren Charakteristiken vorherzusehen und uns auf sie vorbeugend vorzubereiten [16]. Daher bleibt uns nur, ab sofort die Ursachen neuer Pandemien zu vermeiden.
Es gibt nur ein Fazit: Abkehr von industrieller Nutztierhaltung und Wildtiermรคrkten – wann, wenn nicht jetzt?
Wir sind jetzt gรคnzlich beschรคftigt mit der Bekรคmpfung von COVID-19. Zeitgleich zรผchten wir uns bereits die nรคchsten Pandemien und vielleicht sogar das Ende des Antibiotika-Zeitalters heran – mit all ihren gesundheitlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Selbst Kinder greifen nur einmal auf die heiรe Herdplatte – und wir als Gesellschaft sind wirklich lernresistent? Kein Tier muss heute mehr in Massentierhaltung vegetieren und sterben, damit wir saftige Burger und knusprige Nuggets essen kรถnnen. Seit kurzem haben wir weltweit absolute Top-Produkte auf pflanzlicher Basis. In wenigen Jahren werden wir zudem sicheres Fleisch aus gezรผchteten Tierzellen am Markt haben – ohne Massentierhaltung, ohne Tiertransporte, ohne Schlachthรถfe und ohne Wildtiermรคrkte [22].
Statt uns von Pandemie zu Pandemie zu hanteln und multiresistente Keime zu zรผchten, sollten wir die Mรถglichkeiten des 21. Jahrhunderts nutzen: Die endgรผltige Abkehr von der industriellen Nutztierhaltung und von Wildtiermรคrkten! Tierschutz, der Schutz von Regenwald und Weltklima sowie die Bekรคmpfung von Zivilisationskrankheiten sind weitere zwingende Argumente fรผr diesen Schritt!
Quelle:
Diana von Webel
Albert Schweitzer Stiftung fรผr unsere Mitwelt
