Polizeibilanz nach Chaostagen in Gießen
26 Polizeibeamte verletzt + 131 Personen ins Gewahrsam genommen + 125 Strafverfahren eingeleitet
Polizei zieht nach vier Tagen vorläufiges Resümee + 26 Polizeibeamte verletzt + 131 Personen ins Gewahrsam genommen + 125 Strafverfahren eingeleitet
Auf Einsatzkräfte wurde mit Flaschen und Rauchbomben geworfen, die Bundespolizei verhinderte noch den Bau eines Molotowcocktails: Beim Eritrea-Festival kam es wie im vergangenen Jahr zu Ausschreitungen. Nicht ohne Grund hatte die Stadt das Festival verbieten wollen – und scheiterte an der Justiz.
Das Polizeipräsidium Mittelhessen hat nach der herausfordernden und dynamischen Einsatzlage aufgrund einer in den Hessenhallen stattfindenden Kulturveranstaltung und angemeldeter Gegenversammlungen und Protesten in Gießen ein vorläufiges Resümee der letzten vier Einsatztage gezogen.
Während des Einsatzes kam es am Samstag verstärkt zu Angriffen auf die Polizei, Auseinandersetzungen, Sachbeschädigungen, Blockaden und anderen Störaktionen. Die Polizei musste, um Angriffe abzuwehren, mehrmals den Schlagstock und Pfefferspray einsetzen. Zu einem Einsatz des Wasserwerfers kam es nicht. Mittlerweile stieg die Anzahl verletzter Polizeibeamtinnen und -beamten auf 26 an. Sieben davon erlitten schwerere Verletzungen wie einen Knochenbruch, offene Schürfwunden und Bänderrisse.
Nachfragen bei der Rettungsleitstelle ergaben, dass dort bislang keine Personen mit schweren Verletzungen, die entweder die Veranstaltung besuchen wollten oder die sich gegen die Veranstaltung positionierten, bekannt sind. Weiter hat weder die Rettungsleitstelle noch die Polizei Erkenntnisse, dass es zu Verletzungen unbeteiligter Dritter kam. Insgesamt führte die Polizei an den vier Einsatztagen im Zusammenhang mit den Veranstaltungen über 1.800 Kontrollen bzw. Identitätsfeststellungen und rund 130 freiheitsentziehende Maßnahmen durch. Ein Gericht legte die jeweilige Dauer der freiheitsentziehenden Maßnahme fest.
Die Polizei fertigte bislang 125 Strafanzeigen, fast ausschließlich wegen Verdacht des Landfriedensbruchs. Rückblick Das Polizeipräsidium Mittelhessen hat unmittelbar nach der Anmeldung der Kulturveranstaltung mit den Vorbereitungen begonnen. Hierzu wurde ein Vorbereitungsstab im Polizeipräsidium eingerichtet. In die Planungen flossen u.a. die Erfahrungen nach den Vorkommnissen bei der Veranstaltung im Jahr 2022 mit ein. Zudem gab es in den sozialen Medien Aufrufe, die Veranstaltung in diesem Jahr gewaltsam zu verhindern.
Die Gewaltaufrufe richteten sich gegen die Teilnehmenden der Veranstaltung, sowie gegen die Polizei.
Das Polizeipräsidium Mittelhessen hat im Vorfeld die für die Genehmigung von Veranstaltungen und Versammlungen zuständige Kommune eingehend beraten. Die Polizei hat dabei für den Fall, dass die Veranstaltung stattfindet, die Gefahrenprognose der Anreise von gewalttätigen Störern auch aus dem europäischen Ausland anhand von konkreten Hinweisen skizziert. Die polizeiliche Gefährdungslagenbewertung wurde durch den Verlauf des gestrigen Tages leider bestätigt. Die Gefährdungslagebewertung der Polizei war auch Bestandteil der Verbotsverfügung der Stadt Gießen, die dann jedoch durch das Verwaltungsgericht aufgehoben wurde.
Auf Anregung des Polizeipräsidiums Mittelhessen erging außerdem bereits am 5. Juli eine Rechtsverordnung über das Verbot des Führens von Waffen im Gießener Stadtgebiet. Aufgrund der Erkenntnisse hat die Polizei mit dem Großeinsatz bereits am Donnerstag, 06.07.23, begonnen. Der erste Einsatztag verlief ruhig.
In der Nacht zum Freitag identifizierte die Polizei einen eigens aus dem Ausland eingereisten 47 Jahre alten Mann, als die Person, die im Vorfeld in den sozialen Medien offenbar zu erheblichen Gewalttaten in Gießen gegenüber der Kulturveranstaltung aufgerufen hatte. Die Polizei nahm diesen Mann in Gewahrsam und ein Gericht ordnete die Dauer des Gewahrsams bis Montag an. Der Aufbau der Veranstaltung begann nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtes und des Verwaltungsgerichtshofs am frühen Freitagnachmittag. Darüber hinaus fand am Freitag eine angemeldete Versammlung statt. Diese begann mit einer Kundgebung am Bahnhofsvorplatz und endete nach einem Aufzug vom Hauptbahnhof, über die Bahnhofstraße, Westanlage, Rodheimer Straße, Schlachthofstraße in der Straße “An den Hessenhallen”. In der Spitze nahmen bis zu 250 Personen teil. Die Polizei kontrollierte mehrere der Versammlungsteilnehmer wegen des Verdachts der Teilnahme trotz entgegenstehendem “Aufenthalts- Betretung – und Teilnahmeverbot”. Der Verdacht bestätigte sich nicht, sodass die Polizei die Betroffenen wieder entließ. Eine der kontrollierten Versammlungsteilnehmenden hatte in eritreischer Sprache zu Gewaltaktionen aufgerufen. Die Polizei nahm diesen Mann in Gewahrsam.
Zwischenzeitlich meldeten sich am Freitagnachmittag viele besorgte Bürgerinnen und Bürger wegen einer kursierenden Sprachnachricht, die Auslöser für Gerüchte über konkrete Gefährdungen der Gießener Bevölkerung war. Grundlage der Nachricht waren wohl die auch der Polizei bekannten Aufforderungen zu Gewalttaten gegen die Veranstaltung sowie die Polizei. Hieraus entwickelten sich jedoch diffuse Gerüchte über Gewalttaten gegen die Bevölkerung. Die Polizei appellierte, auch in Form einer Pressemeldung, an die Bevölkerung, solche in diesem Fall falsch interpretierten Meldungen nicht ohne Prüfung weiterzuverbreiten und verwies auf die offiziellen Kanäle für gesicherte Informationen zu dem Einsatz.
Nach einer zunächst ruhigen Nacht zum Samstag (08.07.2023) kam es ab etwa 09.00 Uhr den gesamten Tag zu massiven Angriffen auf die Polizei mit Stein- und Flaschenwürfen. Immer wieder versuchten unterschiedlich große Gruppen Zäune zu überwinden und polizeiliche Absperrungen zu durchbrechen. Durch die Steinwürfe wurden zudem Busse mit Teilnehmenden auf dem Weg zur Veranstaltung beschädigt. Personen rissen Absperrzäune um und traten gegen Autos bzw. bewarfen diese mit Gegenständen. Ferner kam es gelegentlich zu Auseinandersetzungen zwischen Besuchern und Gegnern dieser Veranstaltung.
Die Polizei reagierte in allen Fällen konsequent, kontrollierte an diesem Einsatztag mehrere hundert Personen und stellte deren Identitäten fest. Es kam zu einer Vielzahl von freiheitsentziehenden Maßnahmen. An diesem Tag erlitten 26 Polizistinnen und Polizisten Verletzungen, sieben davon schwerere.
Leider erschwerte die ungeprüfte Weiterleitung von ungesicherten Informationen unbekannter Herkunft über die Sozialen Medien auch am Samstag die Arbeit der Polizei.
Ab Samstagmittag kursierte eine Meldung über eine bei einer “Störaktion getötete” Person. Diese Meldung bestätigte sich bis zum Samstagabend und auch bis heute in keiner Weise. Die Polizei bat nochmals nachdrücklich darum, Meldungen nicht ungeprüft weiter zu verbreiten, sondern sich ausschließlich aus offiziellen Quellen zu informieren. Die Veranstaltung in den Hessenhallen besuchten nach polizeilichen Informationen mehr als 2.000 Personen.
Im Laufe der Nacht zum Sonntag kam es zu keinen weiteren Störungen , insbesondere zu keinen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten.
Der Sonntag blieb dann ebenfalls ruhig und ohne weitere Vorkommnisse. Zeitweise waren täglich über tausend Polizistinnen und Polizisten im Einsatz. Neben Einsatzkräften aus Hessen, waren auch Polizistinnen und Polizisten aus anderen Bundesländern sowie der Bundespolizei im Einsatz.
Es wurden speziell geschulte Kräfte, wie Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten und Taktische Kommunikatoren eingesetzt. Wasserwerfer und Sonderwagen waren vorgehalten, Polizeihubschrauber und Polizeidrohnen wurden eingesetzt.
Polizeihunde, sowie die Reiterstaffel der Hessischen Polizei unterstützen den Einsatz.
WELT – Polizei Mittelhessen