Am 06.08.2021 hat die Staatsanwaltschaft Koblenz die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen zwei Beschuldigte wegen des Anfangsverdachts der fahrlรคssigen Tรถtung und der fahrlรคssigen Kรถrperverletzung im Amt – jeweils begangen durch Unterlassen – mitgeteilt. Gleichzeitig hatte sie angekรผndigt, die Medien und die รffentlichkeit fortlaufend รผber den Gang der Ermittlungen zu unterrichten, soweit dies ermittlungstaktisch und unter Berรผcksichtigung der fรผr die Beschuldigten geltenden Unschuldsvermutung rechtlich mรถglich ist. Nachdem mit Presseerklรคrung vom 21.12.2021 der damalige Stand der Ermittlungen mitgeteilt worden war, sollen nunmehr die seither durchgefรผhrten Ermittlungsschritte und das geplante weitere Vorgehen dargestellt werden.
Die bisher beabsichtigten Vernehmungen von Zeugen und Zeuginnen konnten mittlerweile weitestgehend abgeschlossen werden. Die Ermittlungsgruppe bei dem Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz ist mit Nachdruck dabei, die durch die Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse zu sichten und zu einem Bild der Ereignisse am 14./15.07.2021 zusammenzusetzen. Parallel hierzu ist beabsichtigt, nach vorheriger Gewรคhrung rechtlichen Gehรถrs an die Beschuldigten einen Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin mit der hydrologischen รberprรผfung der durch die bisherigen Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse zu beauftragen. Soweit mรถglich, sollen die polizeilichen Erkenntnisse auch aus naturwissenschaftlicher Sicht ergรคnzt werden.
Ein Fokus der Ermittlungen liegt weiterhin auf der Frage, welche Erkenntnisse zu den spรคteren Entwicklungen entlang der Ahr zu welchen Zeiten den mit dem Katastrophenschutz gesetzlich betrauten Personen vorgelegen haben. Wesentlich fรผr die strafrechtliche Beurteilung ist, welche Handlungspflichten zu welchen Zeitpunkten bestanden und welche konkreten Handlungsoptionen zu diesen Zeitpunkten zur Verfรผgung gestanden haben, deren Ergreifen zur Vermeidung des Verlustes von Menschenleben gefรผhrt hรคtte.
Wie in jedem anderen Ermittlungsverfahren auch prรผft die Staatsanwaltschaft in jeder Verfahrensphase, ob die Ermittlungen inhaltlich auszuweiten oder gegen noch nicht beschuldigte Personen zu richten sind. Im vorliegenden Fall hat sich bei dieser fortlaufend vorgenommenen Prรผfung bisher kein Anfangsverdacht gegen andere als die bisherigen Beschuldigten ergeben. Dabei ist daran zu erinnern, dass der Anfangsverdacht gegen die beiden Beschuldigten im Wesentlichen aus den Zustรคndigkeitsnormen des Landesbrand- und Katastrophenschutzgesetzes abgeleitet worden ist, da die Leitung des Katastropheneinsatzes am Nachmittag des 14.07.2021 im Landkreis Ahrweiler รผbernommen worden war. Ob diesen jedoch tatsรคchlich die Informationen vorlagen, die ein anderes Handeln geboten hรคtte, ob tatsรคchlich Handlungsoptionen bestanden haben, durch deren Ergreifung der Tod von Menschen hรคtte vermieden werden kรถnnen, ist – wie schon in der Pressekonferenz am 06.08.2021 dargestellt – Gegenstand der noch nicht abgeschlossenen Ermittlungen. Genau aus diesem Grund betont die Staatsanwaltschaft auch in besonderer Weise die fรผr beide Beschuldigten unvermindert geltende Unschuldsvermutung.
Dass staatlichen Ebenen oberhalb des Landkreises Ahrweiler oder (frรผheren) Mitgliedern der Landesregierung von Rheinland-Pfalz Informationen vorgelegen hรคtten, die aus strafrechtlicher Sicht deren Eingreifen erfordert hรคtten, haben die bisherigen Ermittlungen nicht ergeben. Solche sind namentlich auch nicht der Presseberichterstattung oder den hier bekannt gewordenen Inhalten der Ermittlungen des Untersuchungsausschusses 18/1 “Flutkatastrophe” des Landtags von Rheinland-Pfalz zu entnehmen, aus denen eher auf fehlende Informationen zu schlieรen ist.
Dies gilt sowohl in Bezug auf den Anfangsverdacht einer fahrlรคssigen Tรถtung oder Kรถrperverletzung durch Unterlassen wie auch fรผr den einer unterlassenen Hilfeleistung gemรคร ยง 323c StGB. Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer bei Unglรผcksfรคllen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umstรคnden nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten mรถglich ist. Da das Gesetz fahrlรคssiges Handeln nicht ausdrรผcklich unter Strafe stellt, ist nach ยง 15 StGB Vorsatz erforderlich. Dabei gilt, dass die strafbewehrte Hilfs- bzw. Handlungspflicht entfรคllt, wenn gewรคhrleistet ist, dass die erforderliche Hilfe von anderer Seite geleistet wird. Doch auch, wenn Letzteres im Ergebnis nicht der Fall ist, geht damit eine Strafbarkeit nicht ohne Weiteres einher. Denn wenn jemand โ und sei es auch irrig โ subjektiv davon ausgeht und darauf vertraut, dass die erforderlichen Maรnahmen von anderen Stellen oder Personen ergriffen werden, handelt er bzw. sie ohne den fรผr eine Strafbarkeit nach ยง 323c StGB erforderlichen Vorsatz. Der Staatsanwaltschaft Koblenz liegen bisher keine Hinweise darauf vor, dass (frรผhere) Mitglieder der Landesregierung oder andere Personen im Landesdienst davon ausgegangen sind oder nach ihrem Erkenntnisstand davon hรคtten ausgehen mรผssen, dass die fรผr den Katastrophenschutz zustรคndigen Stellen nicht in der gebotenen Weise tรคtig werden wรผrden.
Bei den Ermittlungen werden auch in hier eingegangenen etwa 75 Strafanzeigen enthaltene Informationen berรผcksichtigt. Die Anzeigen richten sich รผberwiegend gegen die Beschuldigten des Verfahrens, z.T. aber auch gegen die Ministerprรคsidentin von Rheinland-Pfalz, den Staatsminister des Innern und fรผr Sport Rheinland-Pfalz, die Bundesministerin fรผr Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie weitere (frรผhere) politische Verantwortliche in anderen Bundeslรคndern oder im Bund. Allerdings geben die Strafanzeigen gegen (frรผhere) politische Verantwortungstrรคger lediglich hier bereits bekanntes und in die Ermittlungen ohnehin einbezogenes Wissen aus der Medienberichterstattung wieder.
Abschlieรend weist die Staatsanwaltschaft nochmals darauf hin, dass sie ihre Ermittlungen ausschlieรlich entlang der bestehenden Anfangsverdachtsmomente fรผhren darf. Hiervon nicht umfassten Fragen darf sie weder nachgehen, noch ist sie berufen, diese zu kommentieren.
Wir werden die รffentlichkeit und die Medien auch weiterhin รผber den Gang der Ermittlungen unterrichten, bitten jedoch um Verstรคndnis, dass aus Grรผnden des Persรถnlichkeitsschutzes der Beteiligten, der Unschuldsvermutung fรผr die Beschuldigten und zur Vermeidung einer Gefรคhrdung des Untersuchungszwecks weitergehende Auskรผnfte bis auf Weiteres nicht mรถglich sind.
gez. Harald Kruse, Leitender Oberstaatsanwalt
