Verurteilung einer ehemaligen Zivilangestellten im Konzentrationslager Stutthof rechtskräftig
Leipzig - Beihilfe zum Mord - Jugendstrafe
Verurteilung einer ehemaligen Zivilangestellten im Konzentrationslager Stutthof rechtskräftig
Urteil vom 20. August 2024 – 5 StR 326/23
Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision einer 99 Jahre alten ehemaligen Zivilangestellten der SS verworfen, die sich gegen ihre Verurteilung durch das
Landgericht Itzehoe wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen und versuchtem Mord in fünf Fällen
zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von zwei Jahren gewandt hatte.
Nach den Urteilsfeststellungen war die im Tatzeitraum 18 und 19 Jahre alte Beschwerdeführerin
vom 1. Juni 1943 bis zum 1. April 1945 als einzige Stenotypistin in der Kommandantur des von
der SS betriebenen Konzentrationslagers Stutthof beschäftigt.
Das Landgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Angeklagte durch die Erledigung von Schreibarbeit in der Kommandantur die Haupttäter willentlich dabei unterstützt habe, Gefangene durch Vergasungen, durch die Schaffung lebensfeindlicher Bedingungen im Lager, durch Transporte in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und durch Verschickung auf sogenannte Todesmärsche grausam zu töten oder dies versucht zu haben. Ihre Arbeit sei für die Organisation des Lagers und die Durchführung der grausamen, systematischen Tötungshandlungen notwendig gewesen.
Der 5. Strafsenat hat nach mehrstündiger Hauptverhandlung am 31. Juli 2024
durch Urteil vom heutigen Tage die mit der Sachrüge geführte Revision der Angeklagten verworfen.
Dabei hat er sich auf die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Beihilfehandlungen im Zusammenhang mit staatlich organisierten Massenverbrechen gestützt und diese fortgeführt.
In solchen Konstellationen sind einerseits an jeder einzelnen begangenen Mordtat eine Vielzahl von Personen in politisch, verwaltungstechnisch oder militärisch-hierarchisch verantwortlicher Position ohne eigenhändige Ausführung einer Tötungshandlung beteiligt. Andererseits wirken aber auch eine Mehrzahl von Personen in Befolgung hoheitlicher Anordnungen und im Rahmen einer hierarchischen Befehlskette unmittelbar an der Durchführung der einzelnen Tötungen mit. Deshalb ist eingehend zu prüfen, ob die dem Gehilfen vorgeworfenen Handlungen die Tathandlung zumindest eines der an dem Mord Mitwirkenden im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB gefördert haben.
Nach der rechtsfehlerfreien Würdigung des Landgerichts war dies bei der Angeklagten der Fall.
Sie half durch ihre Schreibarbeit dem Lagerkommandanten und dessen Adjutanten, mit denen sie vertrauensvoll zusammenarbeitete, nicht nur physisch. Sie unterstützte diese durch ihre Einordnung in den Lagerbetrieb als zuverlässige und gehorsame Untergebene auch psychisch bei der Begehung der 10.505 vollendeten und fünf versuchten grausamen Morde, die das Landgericht ihr zugerechnet hat.
Ihre Tätigkeit als einzige Stenotypistin war für den durchweg bürokratisch organisierten Lagerbetrieb
von zentraler Bedeutung.
Insoweit kam es nicht entscheidend darauf an, dass die Strafkammer nicht hat ausschließen können,
dass einzelne Schreiben auch von anderen erstellt worden sein könnten.
Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Straffreiheit von berufstypisch neutralen Handlungen mit “Alltagscharakter” stehen der Verurteilung der Angeklagten schon deshalb
nicht entgegen, weil sie von dem verbrecherischen Handeln der von ihr unterstützten Haupttäter
positive Kenntnis hatte und sich durch ihre dennoch erbrachten Dienste gleichsam mit ihnen solidarisierte, wodurch ihr Tun jeglichen “Alltagscharakter” verlor.