Die Idee 6 statt 5 Dosen aus einer Ampulle zu ziehen, entpuppt sich als Eigentor.
Statt, wie erhofft, 20 Prozent mehr Menschen impfen zu kรถnnen, sind es tatsรคchlich sogar weniger.
“Eine wunderbare Nachricht”, jubelte Dirk Heinrich, der Leiter des zentralen Impfzentrums, in den Hamburger Messehallen Anfang Januar.
“Wir kรถnnen 20 Prozent mehr Menschen impfen”.
Denn genau das hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) in einem Papier an den Gesundheitsausschuss des Bundestages, die Lรคnder-Gesundheitsminister und die Staatskanzleien der Lรคnder versprochen, in dem es empfahl, sechs statt fรผnf Impfdosen aus einer Ampulle von BioNTech/Pfizer zu entnehmen.
Was zunรคchst nach einem cleveren Schachzug aussah, entwickelt sich mittlerweile zu einem groรen Problem.
Denn statt mehr werden nun sogar weniger Menschen geimpft, als wenn man einfach bei fรผnf Impfdosen geblieben wรคre.
Und das Impfen ist durch die Umstellung teurer geworden.
Versprechen lautete: 20 Prozent mehr Impfungen
BioNTech hatte vom Start weg alle Impfdosen-Behรคltnisse leicht รผberfรผllt – “aus technischen Grรผnden”, damit die vom Hersteller garantierte Menge sicher mit dem Impfbesteck entnommen werden kรถnne, erklรคrte das Bundesgesundheitsministerium am 29. Dezember – und hatte eine scheinbar gute Idee:
Unter Verwendung von spezieller Spritzen und Kanรผlen sei bei sorgfรคltiger Vorgehensweise die Entnahme von sechs Dosen grundsรคtzlich mรถglich, teilte das Ministerium weiter mit. Es obliege dem Arzt, eine Unterdosierung auszuschlieรen und sicherzustellen, dass das verabreichte Impfstoffvolumen tatsรคchlich 0,3 Milliliter betrage.
Nachdem am 8. Januar die europรคische Arzneimittel-Agentur (EMA) auch offiziell grรผnes Licht fรผr sechs Entnahmen pro Ampulle gab, verkรผndete das Gesundheitsministerium erneut, dass “ab sofort pro Ampulle 20 Prozent mehr Menschen geimpft werden” kรถnnten. Doch die Antwort von BioNTech/Pfizer lieร nicht lange auf sich warten – und fiel nicht wie erhofft aus.
Hersteller kรผrzt Impfstofflieferung um 20 Prozent
Denn der Impfstoffhersteller kรผrzte schlichtweg die gelieferte Menge an Impfstoff um 20 Prozent und verwies auf die Vertrรคge, die mit der EU-Kommission fรผr die 27 EU-Staaten ausgehandelt worden waren. Dort sei vereinbart, dass die Bestellungen “immer auf einer Gesamtzahl von Dosen beruht und nicht von Ampullen”, so der US-Pharmakonzern Pfizer, der zusammen mit BioNTech den Impfstoff herstellt. “Wir halten unsere Lieferverpflichtungen gegenรผber den Staaten ein.”
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nannte das Vorgehen der Firmen “absehbar und erwartbar”. Es sei klar gewesen, dass auf den Flรคschchen “irgendwann auch der Aufdruck erfolgt: sechs Dosen drin, und sechs Dosen kรถnnen entnommen werden”. Frankreich sieht das anders. Die Regierung in Paris mahnte, unabhรคngig von der Zahl der Dosen die bestellte Menge an Ampullen zu liefern.ย “Die Lieferungen erfolgen in Flรคschchen. Das Thema der Zahl an Dosen pro Flรคschchen รคndert fรผr das Industrieunternehmen nichts”, sagte Frankreichs EU-Staatssekretรคr Clรฉment Beaune.
Es reicht oft doch nicht fรผr sechs Impfdosen
Doch es kommt noch schlimmer: Aus den deutschen Impfzentren hรคufen sich die Klagen, dass รrzte oft nur fรผnf Dosen aus einer Ampulle erhalten – und nicht sechs. Thรผringens Gesundheitsministerium spricht sogar von 50 Prozent der Fรคlle. Wie oft in Deutschland keine sechste Portion entnommen werden kann, ist nicht bekannt.
Spezialspritzen sind nรถtig
BioNTech erklรคrte auf Anfrage von tagesschau.de, dass “Spritzen und/oder Nadeln mit geringem Totvolumen verwendet werden” mรผssten. Als Totvolumen wird die Menge an Impfstoff bezeichnet, die am Ende im Kolben der Spritze bleibt – also nicht verimpft wird. “Wenn Standardspritzen und -nadeln verwendet werden, reicht das Volumen mรถglicherweise nicht aus, um eine sechste Dosis aus einer einzelnen Durchstechflasche zu entnehmen.”
BioNTech stellt nach eigenen Angaben 50 Millionen Spezialspritzen zur Verfรผgung. Die Nadeln wรผrden zum Selbstkostenpreis weiterverkauft. Sie Diese seien zwar allen Bundeslรคndern und EU-Staaten angeboten worden, doch nur “einige” hรคtten sie gekauft.
Keine Antworten vom Gesundheitsministerium
Das Bundesgesundheitsministerium macht keine Angaben, wie groรe der Mangel an Spezialspritzen ist. Auch die zusรคtzlichen Mehrkosten fรผr diese Spritzen bleiben unklar. Eine entsprechende Anfrage von tagesschau.de von vergangener Woche blieb – auch nach mehreren Nachfragen – bislang unbeantwortet. BioNTech antwortete lediglich: “Nรคhere Angaben zum Preis seitens BioNTech liegen nicht vor.”ย
Was zunรคchst als tolle Nachricht lautstark verkรผndet wurde, entpuppt sich bei nรคherem Hinsehen als klassisches und auch teures Eigentor.
ARDย

