Vor knapp acht Monaten tötete ein 57-Jähriger den Berliner Arzt Fritz von Weizsäcker. Nun ist er vom Berliner Landgericht zu einer Haftstrafe sowie der Unterbringung in einer Psychiatrie verurteilt worden. Dabei wurde eine verminderte Schuldfähigkeit berücksichtigt.
Der Mann, der den Berliner Chefarzt Fritz von Weizsäcker erstochen hat, ist wegen Mordes verurteilt worden. Das Berliner Landgericht verhängte am Mittwoch eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und ordnete eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Bei dem Urteil berücksichtigte die Schwurgerichtskammer eine verminderte Schuldfähigkeit des 57 Jahre alten Angeklagten, sonst wäre bei Mord eine lebenslange Freiheitsstrafe zwingend.
Der Mann hatte Mitte November den Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in der Schloßparkklinik in Berlin-Charlottenburg erstochen. Heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen habe der Angeklagte gegen Ende eines Vortrags dem Arzt ein Messer in den Hals gerammt, begründeten die Richter ihre Entscheidung.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Innerhalb einer Woche kann Revision beantragt werden.
“Sinnlose Tat eines psychisch nicht unerheblich gestörten Mannes”
Der 57-jährige Angeklagte aus Andernach in Rheinland-Pfalz wurde außerdem wegen versuchten Mordes an einem Polizisten verurteilt. Der Polizist, der privat bei dem Vortrag war, bei dem Weizsäcker erstochen wurde, wollte den Angreifer stoppen und war von diesem mit mehreren Stichen schwer verletzt worden. In dem Prozess trat der Polizist als Nebenkläger auf.
Mit dem Urteil entsprach das Gericht weitgehend der Forderung der Anklage. Die Staatsanwältin hatte 14 Jahre Haft und die Unterbringung in der Psychiatrie gefordert. Sie sprach von einer sinnlosen Tat “eines psychisch nicht unerheblich gestörten Mannes”. Tatsächlich sei es ihm darum gegangen, sich selbst durch die Tat “aus dem Sumpf seines Alltags zu ziehen”.
Als Mordmotiv sah die Staatsanwaltschaft Hass auf die Familie des Getöteten, insbesondere auf den früheren Bundespräsidenten. Er habe als “Kollektivschuld” Tote im Vietnam-Krieg rächen wollen. Dabei habe er sich auf eine frühere Tätigkeit von Richard von Weizsäcker in den 1960er Jahren für ein Pharmaunternehmen bezogen.
Gutachter stellt Zwangsstörung fest
Ein Sachverständiger hatte vergangene Woche im Prozess ausgesagt, dass der Angeklagte unter einer Zwangsstörung und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung leide. Diese Störung existiere sehr lange und sei bei dem Angeklagten “sehr eingefressen”. Die Prognose sei “nicht sehr günstig”. Von ihm könnte demnach weiterhin Gefahr ausgehen, so der Gutachter; zudem sträube sich der Angeklagte gegen eine erforderliche Therapie.
Auch wenn in die Gefühlswelt des Angeklagten nach der Tat Ruhe eingekehrt sei, bleibe die Struktur seiner Erkrankung erhalten, erklärte der Experte. Er gehe davon aus, dass seine Steuerungsfähigkeit bei der Tat erheblich vermindert gewesen sei. Die Schuldfähigkeit hatte in dem Prozess eine zentrale Rolle gespielt.
“Tat nicht aus Wahn begangen”: Geständnis ohne Reue
Der Angeklagte hat die Attacke gestanden, dabei aber keine Reue gezeigt. In einer von mehreren Erklärungen zu den Vorwürfen hieß es: “Ich habe meine Tat nie bereut.” Er habe sich im Recht gefühlt. Zugleich beklagte er sich, er werde “vergleichsweise für Pillepalle an den Pranger gestellt”. Nachdem der forensische Psychiater sein Gutachten vorgetragen hatte, erklärte der Angeklagte: “Ich habe die Tat aus politischer Überzeugung und nicht aus Wahn heraus begangen.” Weil er nicht an den früheren Bundespräsidenten kam, habe er die Familie ins Visier genommen. Ein Anschlag auf die Familie sei seit 30 Jahren sein “Lebensziel” gewesen.
Immer wieder störte der Angeklagte durch Zwischenrufe die Plädoyers – wie er zuvor häufig die Befragung von Zeugen gestört hatte. Er selbst hatte sich in seinem Geständnis als Zwangsneurotiker, Ex-Nazi und verkrachte Existenz beschrieben. Von dem psychiatrischen Gutachter fühlte er sich “falsch interpretiert”. Er sei nicht krank, so der Angeklagte.
Mehrere Zeugen hatten im Prozess das Bild eines Mannes mit vielen Widersprüchen gezeichnet. Eine Ex-Nachbarin beschrieb den Angeklagten als Einzelgänger und Neurotiker mit Händewasch-Zwang. Er sei entweder laut und aggressiv oder in sich gekehrt gewesen. Frühere Kollegen berichteten, der Angeklagte habe Klinken nur mit einem Taschentuch angefasst oder in seiner Wohnung Lichtschalter mit einem Fuß betätigt. Als Packer in einem Logistikzentrum sei er aber auch hilfsbereit und freundlich gewesen.
rbb – NTV